Kapitel 11

Sophie schob die Tür zum Kinderzimmer auf und fand Charlotte, die Gräfin von Sheffield und Downes, auf einem Hocker vor dem Kamin vor. Ein kleines, pummeliges Mädchen zog ernsthaft einen Kamm durch Charlottes schwarze Locken.

»Pippa! Aua, Schätzchen!« Charlotte drehte sich ein wenig zur Seite, damit sie ihrer Tochter in die Augen sehen konnte. »Du musst sehr sanft sein, wenn du später einmal die Zofe einer Dame werden möchtest.«

Sophie lachte. »Charlotte, hast du keine Angst, dass Pippa allzu ehrgeizige Pläne entwickeln könnte?«

Charlotte blickte auf und lächelte sie strahlend an. »Schau, wer uns besuchen kommt, Pippa!«

Die Haarkünstlerin ließ den Kamm fallen und warf sich ungestüm gegen Sophies Knie.

»Lady Sophie! Lady Sophie!«

Sophie beugte sich nach unten und hob Charlottes Tochter Pippa lachend in die Höhe. »Meine Güte, Pippa, wenn du noch größer wirst, werde ich dich nicht mehr so leicht hochheben können.«

Pippa klammerte sich an Sophies Seite. »Wussten Sie schon, dass ich bald schon drei werde, Lady Sophie?«

»Ist das wahr?« Sophie drückte Pippa einen Kuss auf die Nase. »Und ich dachte, dass es bis zu deinem Geburtstag noch lange hin ist ... bis der kommende Sommer wieder vorbei ist.«

»Der Sommer wird schon bald da sein«, erwiderte Pippa mit ernster Stimme. »Dann ist bald Weihnachten, und ehe wir uns versehen, ist es schon wieder Sommer.«

Sophie lachte erneut. »Wann bist du denn so weise geworden, Pippa?«

Pippas schmale Brust wölbte sich vor Stolz. »Manchmal wäre ich lieber als Vogel geboren worden, besonders als Schwalbe, aber Mama sagt, sie hat mich am liebsten so wie ich bin.« Sie zupfte verächtlich an ihrem rosafarbenen Batistkleid.

Sophie drückte Pippa noch einmal an sich und setzte sie auf dem Boden ab. Ihre Augen begegneten Charlottes, in denen ein belustigtes Funkeln stand.

»So, so, Charlotte, du hast also lieber eine Tochter in einem Kleid als eine, die mit Federn bekleidet ist?«

Pippa ließ sich mit einem Plumps auf dem Boden neben den Knien ihrer Mutter nieder.

»Mamas sind so, Lady Sophie«, verkündete sie. »Sie möchten, dass ihre Babys Kleider tragen und immer sauber sind. Eines Tages haben Sie ein eigenes Baby, und dann werden Sie schon sehen!«

»Was, wenn ich einen kleinen jungen bekomme?«

»Einen kleinen Jungen?« Pippa runzelte die Stirn. Im Kinderzimmer wurde selten über kleine jungen nachgedacht. »Mama und Sarah sind Mädchen«, belehrte sie Sophie. »Und Katie auch.« Sarah war das Baby der Familie und Katie das Kindermädchen der beiden Mädchen.

»Das weiß ich doch, Pippa.« In Sophies Augen blitzte es schelmisch. »Aber was, wenn ich ein Baby bekomme, und es ist ein kleiner Junge? Vielleicht möchte er nicht für immer Kleider tragen?«

»Das werden Sie nicht«, widersprach Pippa voller Überzeugung. »Sie werden ein kleines Mädchen haben, so wie wir. Glauben Sie, Sie werden bald eines bekommen, Lady Sophie?«

Charlotte kicherte.

»Nein«, verneinte Sophie hastig. »Nein, ich habe nicht vor, in näherer Zukunft ein Baby zu bekommen, sei es nun ein Mädchen oder ein junge.«

»Warum nicht? Katie sagt, die Party, die Mama für Sie gegeben hat, war wegen Ihrer >Lobung<, weil Sie in ein eigenes Haus ziehen werden, und dann haben Sie doch viel Platz für ein Baby. Wen heiraten Sie? Ist er nett?«

Sophie nahm in einem Sessel Platz und blickte das kleine Mädchen, das sich an das Knie ihrer Mama lehnte, augenzwinkernd an.

»Ich hatte vor, einen sehr netten Mann namens Braddon zu heiraten.«

Aus den Augenwinkeln sah Sophie, wie Charlottes Kopf hochfuhr und ihre Freundin sie mit schmalen Augen ansah.

»Will denn der nette Mann Braddon nicht sofort ein kleines Mädchen?«

Charlotte mischte sich lachend in die Unterhaltung ein. »Pippa lässt nicht locker, wenn sie sich erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, Sophie.« Und dann fügte sie hinzu: »Sagtest du, du hattest vor zu heiraten?«

»Die Wahrheit ist die, Pippa«, sagte Sophie und mied dabei Charlottes Blick, »dass ich Braddon nun doch nicht heiraten möchte, und so muss er sich anderswo ein Baby suchen.«

Charlotte grinste gut gelaunt und Pippa ließ von ihren Fragen ab und rutschte auf Knien näher, um Sophies Hand zu tätscheln.

»Wissen Sie was, Lady Sophie, da Sie so bald kein eigenes Mädchen haben werden, kann Mama Ihnen vielleicht erlauben, Sarah mit nach Hause zu nehmen. Da sie zwei Mädchen hat, könnte sie Ihnen eines abgeben.«

»Pippa, ich habe dir doch gesagt, du sollst aufhören, jedem unsere Sarah anzubieten!« Charlotte schnitt Sophie eine Grimasse. »Ich fürchte, du bist nicht die Erste, die in den Genuss von Pippas Großzügigkeit kommt. Bis jetzt hat sie Sarah bereits Katies Schwester, den meisten anderen Dienstboten und mehrere Male meiner Mutter angeboten.«

Sophie hatte große Mühe, nicht über das kleine Mädchen zu lachen, das vor ihr auf dem Boden kniete und keine Spur von Reue zeigte. »Wenn ich irgendwann ein kleines Mädchen habe, werde ich dich gelegentlich ausborgen. Du könntest uns besuchen und ihm beibringen, seine Kleider nicht schmutzig zu machen.«

Pippa rappelte sich hoch und man konnte die beschmutzte, zerknitterte Vorderseite ihres Kleides erkennen. »Das kann ich ganz bestimmt, Lady Sophie! Wenn Sie heiraten, trage ich mein bestes Kleid und benehme mich sehr brav.«

Die Tür des Kinderzimmer öffnete sich und Katies rundliches Gesicht erschien. »Hier ist das kleine Lämmchen, Mylady«, sagte sie melodisch und hielt ein verschlafenes Bündel in den Armen. »Sie ist gerade aufgewacht.«

Charlotte stand auf und nahm Sarah liebevoll entgegen. »Zeit, dich zu füttern, mein kleines Zuckerpfläumchen. Und« - sie drehte sich um und bedachte ihre beste Freundin mit einem gespielt bösen Blick - »ich würde gerne mit dir reden, Sophie York. Warum nehmen wir nicht den Tee in meinem Salon?«

»Ich will auch, ich will auch«, rief Pippa begeistert.

»Aber Schätzchen, ich glaube, es muss sich jemand um Katies Haar kümmern«, sagte Charlotte zu Pippa, die daraufhin gleich hinüberlief und ihren Kamm holte. Sie war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, unten mit Lady Sophie Tee zu trinken oder sich in ihrer geliebten Frisierkunst zu üben.

»Nun sehen Sie sich nur Ihr Kleid an, Lady Pippa«, sagte das Kindermädchen.

Pippa schaute an sich hinunter und strich sorgfältig ein paar Falten glatt.

»Nun, zuerst war ich ganz vorsichtig, Katie, aber dann habe ich es vergessen.«

»Du meine Güte«, rief Katie. »Da ist mein Haar in völliger Unordnung, und ich habe es nicht einmal bemerkt! Gott sei Dank ist Pippa hier, die mir helfen kann.« Sie setzte sich hin und nahm ihre Haube ab, und Pippa begann, vorsichtig die Nadeln aus dem glatten Haarknoten zu ziehen.

Sophie beugte sich nach unten und rieb ihre Nase an der Wange der kleinen, vorwitzigen Range. »Darf ich dich schon bald für einen Nachmittag ausborgen? Wir werden Eiskrem essen, und du kannst mir erzählen, was eine Lady so tut. Das ist eine gute Übung für später, wenn Sarah deine Hilfe benötigt.«

»Ja gut«, sagte Pippa glücklich. »Papa sagt, Eiskrem wird noch mein Untergang. Wissen Sie, was er damit meint?«

»Es bedeutet, dass du sehr gerne Eiskrem isst.«

»Was ist Ihr Untergang, Tante Sophie?« Pippas schwarze Augen blickten Sophie neugierig an. Ihre wunderschön geschwungenen Augenbrauen waren eindeutig das Erbe ihres Vaters - und das ihres Onkels.

Der Wunsch nach einem kleinen Mädchen, das genauso aussieht wie du, dachte Sophie unwillkürlich. Und all das, was zur Erfüllung dieses Wunsches führen kann.

»Sie ist genau wie du, Pippa«, ertönte Charlottes Stimme an der Tür. »Sophie mag gerne Eiskrem, und damit genug davon.«

»Sophie mag Eiskrem, Eiskrem, Eiskrem!«, rief die kleine Pippa und schwenkte ihren silbernen Kamm.

Nachdem sie Pippa ein letztes Mal zugewinkt hatte, schlüpfte Sophie aus dem Zimmer und folgte Charlottes schlanker Gestalt die Treppe hinunter zum Salon der Gräfin, der sich im Erdgeschoss befand.

Sobald Charlotte das Zimmer betreten hatte, ließ sie sich in den Schaukelstuhl am Fenster sinken und arrangierte ihr lockeres Hauskleid so, dass sie Sarah die Brust geben konnte. Sophie wanderte ruhelos im Salon umher. Es war ein Raum, dem die elegante Steifheit völlig fehlte, die den Salons der Damen meistens anhaftete. Natürlich verrichtete Charlotte hier nicht ihre richtige Arbeit - sie besaß ein Atelier im zweiten Stock -, aber der Rosensalon war der Mittelpunkt des familiären Lebens. Es war ein gemütliches, freundliches Zimmer, indem es auch einmal gestattet war, ein paar Bücher unordentlich in das Regal zu stellen und Papiere am Kamin liegen zu lassen. In diesem Salon beging die Herrin, noch dazu eine Gräfin, außerdem noch den beispiellosen Affront, ihr Kind selber zu stillen. Dass an sich war schon schlimm genug, aber dass sie sich dazu nicht einmal in die dunkelste Ecke ihres Schlafgemachs zurückzog, war unerhört.

Schließlich blickte Charlotte auf und warf Sophie einen erwartungsvollen Blick zu.

»Nun?«

Sophie hatte wehmütig zugesehen, wie sich Sarah an die Brust ihrer Mutter schmiegte und, mit der kleinen Faust ein Miederband umklammerte.

»Nun ...«, wiederholte Sophie neckend. Ach habe Braddon den Laufpass gegeben.«

»Oh, Sophie, das ist ja großartig«, jubelte Charlotte. »Braddon war nicht intelligent genug für dich. Er hätte dich nie verstanden, und auf seine eigene Art und Weise ist er in seinen Ansichten sehr konservativ und festgefahren. Du hättest ihn zugleich schockiert und eingeschüchtert. Er ist natürlich ein sehr netter Mann, aber für dich nicht der richtige.«

»Und wer ist der richtige?« In Sophies Augen funkelte es schelmisch.

Charlotte schwieg besonnen. Wenn Sophie ihren Schwager nicht heiraten wollte, dann konnte man das nicht ändern. Auch wenn die beiden, zumindest in Charlottes Augen, perfekt zusammenpassten.

»Oh je«, sagte Sophie mit gespielter Verzweiflung. »Ich fürchte, du wirst von meinem neuen Verlobten nicht viel halten.«

»Dein neuer Verlobter?«

»Du kannst doch nicht tatsächlich glauben, dass die Frau, über die in London am meisten geredet wird - zumindest seit du so häuslich geworden bist und keine Skandale mehr verursachst -, ganze vierundzwanzig Stunden ohne Verlobten auskommen kann!« Sophie kicherte, während sie kleine Pirouetten durch den Salon vollführte. »Natürlich habe ich Braddon erst den Laufpass gegeben, als ich einen neuen Bewerber an der Hand hatte.«

Charlotte zog die Nase kraus. »Sei bitte nicht so zynisch, Sophie! Das passt gar nicht zu dir, und ich hasse es, wenn du dich wie eine Matrone benimmst, die doppelt so alt ist wie du.«

Sophie hörte auf, sich im Kreis zu drehen und nahm Charlottes Rüge lächelnd hin. »Ich wollte nicht überheblich klingen«, sagte sie und verstummte dann. Es war ihr ja so peinlich, zugeben zu müssen, dass sie nach all ihren gegenteiligen Protesten nun doch zugestimmt hatte, Patrick zu heiraten.

Also eilte sie zu Charlottes Schaukelstuhl hinüber und beugte sich über Sarah. »Oh, schau dir nur Sarahs kleine Ohren an!«

Es herrschte ein kurzes Schweigen, als sie beide Sarahs runden, mit spärlichen Haaren bedeckten Kopf betrachteten und Sophie sanft mit dem Finger darüber strich.

Aber dann blickte Charlotte auf und runzelte in gespieltem Tadel die Stirn. »Versuch nicht, das Thema zu wechseln, Sophie York! Sag mir jetzt sofort, wem du das Eheversprechen gegeben hast.« Dann tauchte ein entsetzter Ausdruck auf ihrem Gesicht auf. »Du hast doch nicht Reginald Petersham erhört, oder?«

Sophie lachte. »Nein, er ist ein angenehmer Mann, aber ein merkwürdiger Kerl! Hast du noch andere Vorschläge?«

Charlotte presste die Lippen zusammen. Sie würde auf gar keinen Fall noch einmal Patricks Namen ins Spiel bringen, da Sophie ihn erst ein paar Abende zuvor vehement als möglichen Kandidaten verworfen hatte.

»Was hältst du von dem Herzog von Siskind?«, fragte Sophie.

Charlotte war entsetzt. »Oh Sophie, du hast doch wohl nicht! Mein Gott, er ist steinalt und hat acht Kinder!«

Sophie strich erneut über Sarahs Kopf. »Aber ich liebe Kinder, Charlotte«, sagte sie gefühlvoll und wandte den Blick ab, damit Charlotte ihre Belustigung nicht sehen konnte.

»Oh nein«, stöhnte Charlotte. »Er muss mindestens fünfundsechzig sein!«

»Nein, ich habe ihn nicht erhört«, räumte Sophie ein. »Ich hätte gerne meine eigenen Kinder.« Mein eigenes Kind, korrigierte sie sich im Stillen. »Nein, ich habe beschlossen, Patrick zu nehmen. Er schien recht beharrlich.«

Einen Augenblick lang begriff Charlotte nicht, was Sophie meinte. Dann stieß sie ein begeistertes Juchzen aus. Erschrocken fing Sarah an zu greinen, und so musste Charlotte die Unterhaltung unterbrechen und ihr Baby eine Weile wiegen, bis es wieder ruhig an ihrer Brust lag..

Schließlich konnte Charlotte den Blick wieder auf Sophie richten. Sie legte einen Arm um Sophies Schultern und zog sie an sich.

»Nun bist du meine Schwester«, sagte sie und ihre Züge verrieten unbändige Freude.

Als Einzelkind hatte sich Sophie immer sehnlichst eine Schwester gewünscht ... und nun bekam sie eine. »Schwester«, flüsterte Sophie.

Fragen sprudelten aus Charlotte heraus wie Wasser aus einer Quelle. »Aber wie? Wohin werdet ihr eure Hochzeitsreise unternehmen? Oh, und hast du ihm von deinen Sprachen erzählt? Was sagt deine Mutter dazu?«

»Mutter hatte gestern ungefähr drei hysterische Anfälle wegen meiner Undankbarkeit«, sagte Sophie trocken, »aber heute hat sich ihre Empörung meinem zukünftigen Gatten und seinem störrischen Naturell zugewandt. Patrick wünscht, dass die Zeremonie in vierzehn Tagen stattfindet. Daraufhin teilte Mama ihm mit, dass eine Hochzeit innerhalb der nächsten drei Monate gar nicht in Frage käme. Am Ende scheint es, als würden wir in sechs Wochen vermählt werden. Wir werden von seinem Onkel, dem Bischof von Winchester getraut werden.« Sophie schwieg einen Moment lang verwirrt. »Nun, du weißt vermutlich längst, dass der Onkel deines Mannes ein Bischof ist.«

Als Charlotte lächelte, hielt Sophie den Atem an. Würde Charlotte nach den Gründen für ihre skandalös kurze Verlobungszeit fragen? Konnte man es überhaupt eine richtige Verlobungszeit nennen?

Hastig sprach sie weiter. »Mama bereitet nun in aller Eile eine große Hochzeit vor. Mein Vater hat mit allen Mitteln versucht, sie davon abzuhalten, aber sie ist überzeugt, dass mein gesellschaftlicher Ruin nur verhindert werden kann, wenn wir diese Hochzeit so prunkvoll wie möglich gestalten. Sämtliche Dienstmädchen nähen bereits Pferdedecken aus pinkfarbenem Taft. Mama möchte, dass die Einladungen in angemessenem Stil überbracht werden.«

Charlotte zog ihre eigenen Schlüsse über Patricks Wunsch nach einer hastigen Vermählung. »Mein Gott, Sophie.« Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. »Als Henrietta Hindermaster ihre Verlobung mit dem Herzog von Siskind löste, wartete sogar sie drei Monate, bevor sie den Butler ihrer Eltern heiratete!«

Sophie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg. Sie hatte sich so lange den äußeren Anschein von Weltgewandtheit gegeben, dass es sie jetzt überraschte, wie sehr sie einen Skandal zu meiden suchte. Du meine Güte, ihre knappen Kleider waren seit ihrem ersten Ball überall berüchtigt.

Charlotte lächelte mitfühlend. »Arme Sophie! Ich sollte dich nicht aufziehen. Es ist ein Wunder, dass Patrick nicht zu deinem Fenster hochgeklettert ist und dich nach Gretna Green entführt hat!«

Als die Röte in Sophies Wangen sich vertiefte, weiteten sich Charlottes dunkle Augen. »Sophie! Er hat doch nicht etwa!«

Sophie war hin und her gerissen zwischen dem Impuls zu lachen und noch tiefer zu erröten. Also erhob sie sich schnell und trat ein paar Schritte zur Seite. Dann strich sie sich ihre Locken nach hinten.

Als Sophie schwieg, suchte Charlotte ihren Blick und hielt ihn unnachgiebig fest. »Sophie York«, sagte sie, »ich will alles wissen!«

Im gleichen Moment mied Patrick ebenfalls um jeden Preis den Blick seines Gegenübers und fragte sich, wie viel er seinem Bruder erzählen sollte. Verdammt! Warum hatte er Sophie nicht gefragt, was sie Charlotte sagen würde? Er hatte den dumpfen Verdacht, dass Frauen sich alles erzählten. Bedeutete das, dass Sophie Charlotte jede Einzelheit beichten würde, die hinter ihrer hastigen Vermählung steckte?

Alex und Patrick saßen im Umkleideraum von Jackson's Box Salon und entspannten sich nach einer anstrengenden Sparring-Runde mit Cribb persönlich. Sie hatten sich gewaschen und neben ihnen standen zwei Diener bereit, um ihnen beim Ankleiden zu helfen. Bei Gentlemen, die ihre Kleidung auspolsterten, musste man zum Beispiel ein letztes Mal alles zurechtzupfen, damit ihre Wadenpolster auch bestimmt glatt lagen.

Der kleine Billy Lumley hatte zugegebenermaßen auf den ersten Blick gemerkt, dass diese beiden Männer nirgendwo Polster benötigten. Es bestand jedoch immer noch die Chance auf ein Trinkgeld, und so wartete er geduldig und hielt den Mantel eines der Herren. Er konnte beim besten Willen nicht sagen, wem von beiden der Mantel gehörte, denn Ihre Gnaden glichen einander, wie es sonst nur bei den aus Amerika importierten Wilden der Fall war. Er hatte erst kürzlich welche gesehen, und wenn man es genau betrachtete, dann ähnelten sie diesen Indianern sogar, denn ihre Haut hatte eine seltsam goldene Tönung und war nicht so teigig und weiß wie die Haut der anderen Männer, die sonst zum Boxen herkamen.

Aber Patrick streckte seine langen Beine aus, holte tief Luft und deutete Billy und dem anderen Diener mit einer Handbewegung an, sich ein wenig zu entfernen. Alex blickte ihn neugierig an, während er sich ein frisches Hemd überzog.

»Ich heirate in sechs Wochen«, sagte Patrick und verbiss sich das Lächeln, das in seinen Mundwinkeln auftauchte. »Ich dachte, du würdest gerne dabei sein.«

Einen Moment lang herrschte Stille. »Daphne Boch?«, fragte Alex schließlich ungerührt.

»Nein. Die Wahl deiner Frau. Sophie York.«

Alex Mund verzog sich zu einem Lächeln, das dem seines Zwillingsbruders aufs Haar glich. »Ich mag Sophie, auch wenn das keine Rolle spielt. Mutter hätte sie ebenfalls gemocht.«

»Ja, das hätte sie, nicht wahr.« Einen Moment lang dachten die beiden Männer an ihre lebhafte Mutter, und an die Art, wie sie stets lachend und nach Glockenblumen duftend ins Kinderzimmer gerannt kam, um sie hochzunehmen und zu umarmen. Bis sie bei der Geburt eines tot geborenen Bruders starb und sie mit einem schweigsamen, gichtgeplagten Vater zurückließ, der sie prompt auf die Schule schickte und sie während der Schulferien an jeden abschob, der sich bereit erklärte, die kleinen Jungen aufzunehmen.

Alex erhob sich als Erster. »Warum so bald?«, fragte er sanft.

»Das war eine spontane Laune«, sagte Patrick gedehnt.

»Eine Laune?« Alex klang nachdenklich.

Er winkte Billy heran und nahm ihm den Mantel aus der Hand. Zu Billys Leidwesen schlüpfte er ohne Schwierigkeiten hinein.

»Du musst gerade reden«, gab Patrick zurück. Er streifte seinen eigenen Mantel über und gab den beiden Dienern geistesabwesend ein großzügiges Trinkgeld.

Ein Lächeln erhellte Alex' Augen. »Und dann?«

»Wir werden auf der Lark eine Reise an der Küste entlang unternehmen.«

Alex warf ihm einen durchdringenden Blick zu. »An der Küste entlang?«

Patrick nickte. »Von der Lark kann ich unauffällig Breksbys Befestigungsanlagen in Wales überprüfen. Dieser Zeitpunkt ist so gut wie jeder andere auch.«

Alex schnitt eine Grimasse. »Die ganze Idee, dass Napoleon in Wales einfallen könnte, ist absurd. Napoleon -das heißt, falls er überhaupt genügend Boote zusammenbekommt - segelt bestimmt in Richtung Kent oder Sussex. Mein Gott, er besitzt nur flache Schiffe! Er wird von Boulogne direkt nach Kent übersetzen.«

Patrick zuckte die Achseln. »Es ist eine gute Ausrede für eine Hochzeitsreise.«

»Dafür braucht man keine Ausrede, Patrick.« Alex zögerte. Er hatte seine eigene Hochzeitsreise durch einen heftigen Eifersuchtsanfall ruiniert. »Mach' nicht meinen Fehler«, fügte er leise hinzu.

Patrick grinste. »Ich bin nicht solch ein Dummkopf wie du. Ich freue mich darauf. Außerdem habe ich nicht vor, die gleiche Ehe wie du zu führen, Alex. Oh, ich möchte nicht behaupten, dass es keine gute Ehe wird - aber vergiss nicht, dass Sophie eigentlich Braddon Chatwin heiraten wollte. Ich denke nicht, dass wir die gleichen intensiven Gefühle füreinander hegen werden, wie du und Charlotte.«

Alex blickte ihn schweigend und mit hochgezogener Augenbraue an.

»Ich habe es dir doch gesagt. Sie wollte Braddons Titel.«

»Was hat sie dazu gesagt, dass du Herzog wirst?«

»Ich habe es ihr nicht erzählt.« Patricks gelassener Ton verbat sich dennoch weitere Fragen.

Aber Zwillingsbrüder sind nicht für ihre Zurückhaltung bekannt. »Was meinst du, du hast es ihr nicht gesagt? Willst du warten, bis ihr verheiratet seid?«

Patrick zuckte unmutig die Achseln. »Nein, eigentlich nicht. Das Thema hat sich nicht ergeben. Ich werde alleine in die Türkei reisen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sophie sich für ein Ereignis interessiert, das noch ein Jahr in der Zukunft liegt.«

Alex warf seinem Bruder durch seine dunklen Wimpern einen schrägen Blick zu. »Bist du sicher, dass du dich wirklich vermählen möchtest, Patrick?«

»Wenn ich mir schon Fesseln anlegen lassen muss, warum dann nicht von Sophie? Ich mag sie, und sie ist -«

»Eine unglaublich schöne Frau«, unterbrach sein Bruder ihn.

»Ja, das stimmt.« Patrick lächelte, als das Bild von Sophies goldenen Locken vor seinem geistigen Auge auftauchte.

»Und erstaunlich intelligent«, setzte sein Bruder hinzu.

Patrick zuckte erneut die Achseln und blickte ihn über die Schulter hinweg an. »Ja, auf eine kokette Art und Weise. Sie wird eine angenehme Gesellschaft sein.«

»Kokett?« Alex schien an einem heimlichen Witz zu ersticken. »Kleiner Bruder, du solltest sie irgendwann einmal nach Sprachen fragen.«

»Ich muss weg.« Patrick war so nervös, dass er kaum zuhörte. Das Abendessen mit seiner Zukünftigen und ihren Eltern rückte näher. Er freute sich nicht gerade auf einen Abend mit beleidigten Eltern, aber ihm war danach, dass Sophie sich an ihn klammerte, ihm ihre kirschroten Lippen darbot und nach Atem rang. Er musste sich wieder vor Augen führen, warum er sich auf diese schreckliche Sache eingelassen hatte und bald heiraten würde. Er hatte sich immer geschworen, niemals in die Falle des Pfaffen zu tappen und vor dem Altar zu landen.

»Du stellst dir deine Ehe also wie eine friedliche Angelegenheit vor, die zufällig sechzig Jahre oder länger dauert?«, fragte Alex mit einem Augenzwinkern, während sie Jackson's Box Salon verließen und auf den Piccadilly Circus hinaustraten. »Deine Ehe wird sogar so zivilisiert verlaufen, dass Sophie nicht einmal bemerkt, dass du ein paar Monate in die Türkei verschwindest. Und du wirst ihr zum Abschied glücklich zuwinken, so als würdest du eine Woche oder so in deine Jagdhütte verschwinden.«

»Herz und Schönheit haben nichts miteinander zu tun«, erwiderte Patrick. »Glaub mir, ich habe seit Jahren mit schönen Frauen zu tun und mein Herz war noch nie in Gefahr.«

»Na, du kennst dich ja aus«, erwiderte sein Bruder spöttisch. »Wir werden ja sehen. Möchtest du eine Wette abschließen?«

»Worauf?«

»Auf dein Herz natürlich. Ich wette fünfhundert Kronen, dass du morgen in einem Jahr zugeben musst, deine Frau abgöttisch zu lieben.«

»Ich hasse es, von einem abgehalfterten Trottel wie dir Geld zu nehmen« sagte Patrick mit einem trockenen Lachen. »Nachdem du nun ein rechter Pantoffelheld geworden bist, willst du deinen Bruder überreden, es dir nachzutun.«

»Dann dürfte es dir nichts ausmachen, die Wette anzunehmen«, gab Alex zurück.

»Ich werde die fünfhundert Kronen in deinem Namen für einen wohltätigen Zweck spenden«, sagte Patrick mit übertrieben freundlicher Stimme. »Denn bei Gott, ich trage eher ein Nachthemd, als dir auch nur einen Tuppence zu geben.«

Alex konnte kaum ernst bleiben. »Du vergisst, mein lieber Bruder, dass ich dich in Sophies Nähe erlebt habe. Du willst sie so sehr, dass du jedes Mal regelrecht zu hecheln anfängst, wenn sie nur an dir vorbeigeht. Falls, nein, wenn du mir die fünfhundert Kronen gibst, werde ich dir ein Nachthemd aus feinster Brüsseler Spitze kaufen.«

Patrick nahm die Zügel seines niedrigen Phaeton und schwang sich hinein. »Kann ich dich zum Grosvenor Square mitnehmen?«

»Nein danke. Ich werde wohl zuerst bei White's vorbeischauen und sehen, wie die Wetten zu Lady Sophies neuem Verlobten stehen.«

Patrick warf ihm einen durchdringenden Blick zu. »Kauf aber eines mit Schleifen und Rüschen!«

»Natürlich.« Der Graf von Sheffield und Downes machte sich auf den Weg und schwang dabei vergnügt seinen Mahagonistock. Seine Haltung verriet, dass ihn das baldige Ende des Junggesellendaseins seines Bruders, das nach einer skandalös kurzen Verlobungszeit in genau sechs Wochen um drei Uhr in der St. George's Chapel zelebriert würde, ganz und gar nicht gleichgültig ließ.

02 - Heiße Nächte der Leidenschaft
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